LARS STREMPEL

Theil 2: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“

Lassen Sie sich berauschen von den Liebesbriefen von Thereschens-Verehrer Gerhard vom 4. November 1864, den Sie aber immer wieder abblitzen ließ.

Liebesbriefe - Mein theuerstes Thereschen

 Aufgezeichnet von Hubert Schuster im Jahr 1970

Liebes Fräulein Thereschen!

Mit meinem Heutigen hoffe Sie, wie Sonntag verlassen, wohl anzutreffen. Gern hätte ich schon in den vorigen Tagen geschrieben, doch war meine Zeit so abgemessen, daß ich selbst des Abends, wo sonst viele Mußestunden, nicht im Stande, mein Vorhaben durchzuführen. Am Tage aller Seelen (2. November, Anm. d. Verf.) ging ich des Morgens schon früh zur Kirche. Wie ich von Marie hörte, so wollten Sie an obigem Morgen schon sehr früh uns beehren, — umsonst habe ich bis gegen zehn Uhr gehofft und geharrt. Mit rührendem Herzen habe ich beim Vorbeifahren Ihres Hauses im Eingang, wo ich so oft das Vergnügen hatte, Sie zu sehen, geschaut, — vergebens richteten sich meine Augen zu der Stelle, wo ich Sie suchte, und ein Lebewohl mußte ich den todten Mauern zuflüstern.

In diesen Tagen war ich wieder nahe bei Ihnen, gerne wäre, wenn ich gewußt, daß es Ihnen angenehm, im Sprung hinübergeeilt, um den Wurm, der an mir nagt, in etwa los zu werden — es ist mir immer, als würde mir das Gehoffte nicht zu Theil. Ich muß gestehen, meine Hoffnung war süß, doch wurde sie ganz anders für mich, als Sie am Dienstag – – – die Stelle wird mir nach Jah­ren noch zurufen, was Sie mir gestanden. Der Vorsehung habe ich meinen Dank ausgesprochen und gebeten, uns zu leiten, wie beider Bestes ist. Es soll mein Bemühen sein, für Sie zu leben, um mich so mit glücklich zu machen. Wie gerne wäre ich zuweilen in Ihrer Nähe, allein ich sehe, solange nicht ein engeres Band uns vereinigt, darf ich es nicht wagen, mich Ihnen ungeniert zu nahen.

Seit Donnerstag leide ich an einem Ohrgeschwür, wel­ches mich so schrecklich plagt, daß ich fast Tag und Nacht keine Ruhe, kann Ihnen jedoch zu meiner Freude mit­theilen, daß mir heute ein Arzt Hoffnung gab, daß ich zu morgen geheilt sei, doch muß ich heute Abend noch 2 Dutzend Blutegel hinterm Ohr haben. Fast zwei Tage war mein Gehör ganz weg. Es ist mir vor Schmerz noch nicht möglich zu arbeiten.

Briefe treffen mich bis nächsten Donnerstag Postrest. (postlagernd) Lüdinghausen. Leben Sie wohl, Fräulein Thereschen, und halten Sie lieb

Ihren unveränderlichen Gerhard K.

NS. Der Barbier steht mit den Blutsaugern hinter mir, nochmals grüßt herzlichst d. O.

Elisabeth und Hubert zu Liebesbriefe an mein theuerstes ThereschenWas Thereschen beim Lesen wohl empfand?

Wir sehen Thereschen vor uns beim Lesen des Briefes, in der Mode der damaligen Zeit, mit gerafftem Reifrock, die Taille eng geschnürt, die runden Arme in den Ärmeln eines schwarzseidenen Oberkleides, am Halse von hoher Borte gehalten, das unbedeckte Haar — die Phantasie glaubt, dass es blond war — gescheitelt, zu hohem Chignon geknotet und an den Schläfen mit zwei geflochtenen Locken in den Nacken führend. Es vermag nicht gesagt zu werden, ob sie beim Le­sen des Briefes Herzklopfen empfand und ein holdes Erröten, das einem jungen Mädchen so wohl ansteht, ihre Wangen bedeckte. Gerhards Briefe werden melancholischer und re­signierter und hören zu einem Zeitpunkt auf, als ein neuer Briefschreiber auftaucht. Vielleicht war Thereschen auch wählerisch und ließ sich gern von mehreren Kavalieren den Hof machen.

Lesen Sie einen weiteren Liebesbrief im Theil 3

Liebesbriefe – Vier Artikel zu „Mein theuerstes Thereschen!“

Theil 1: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 2: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 3: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 4: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“

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