Führungskrise in Deutschland

Die Quittung für falsche Annahmen

Wir erleben in Deutschland gerade die Quittung für jahrelange Fehlentscheidungen – und das nicht nur aufgrund äußerer Einflüsse. Es ist das Ergebnis von Gier, kurzfristigem Denken und – besonders gefährlich – falschen Annahmen über Märkte, Menschen und Realität.

Viele Führungskräfte und Unternehmen haben zu lange geglaubt, dass es „immer so weitergeht“. Dass Wachstum ein Naturgesetz sei. Dass man schlechte Phasen einfach aussitzen kann. Doch Unternehmen, die nicht regelmäßig reflektieren und sich anpassen, werden von der Realität überholt.

Vor allem in Konzernen oder nicht inhabergeführten Betrieben führt die Distanz zum eigenen Kapital häufig zu unüberlegten Investitionen oder ausbleibenden Restrukturierungen. Wichtige Themen wie Konfliktlösung, Mitarbeiterschulung oder strategische Neuausrichtung werden vertagt – bis es zu spät ist.

Hinzu kommt oft ein übersteigertes Ego – der Wunsch, etwas zu schaffen, das größer ist als man selbst. Man investiert in Ideen ohne echten Marktbedarf, verlässt sich auf Bauchgefühl statt auf systemische Analyse, und verpasst dann den Absprung.

Systemisches Coaching setzt hier an. Es fragt nicht, was gerade schiefläuft, sondern warum es schiefläuft. Es deckt Muster auf, hinterfragt Annahmen – und bringt Führungskräfte in die Selbstreflexion.

Der Mythos vom Stellenabbau als Rettung

In Krisen wird oft reflexartig zum Stellenabbau gegriffen. Es klingt nach „harte, aber notwendige Maßnahme“. In Wahrheit ist es häufig ein Eingeständnis von Führungsversagen.

Wer Menschen entlässt, um kurzfristig Bilanzen zu retten, zerschlägt nicht nur Kosten – sondern auch Vertrauen, Prozesswissen, Unternehmenskultur. Ich kenne Unternehmen, die nach Entlassungswellen wirtschaftlich gut dastanden – intern aber kollabierten. Know-how war verloren, die Verbliebenen waren überlastet, verunsichert oder bereits innerlich gekündigt.

Viel zu selten wird gefragt: Wer sind die Menschen, die wir brauchen, wenn wir das Unternehmen neu aufstellen?Stattdessen entscheidet das Bauchgefühl – oder interne Machtspiele.

Es wird lieber auf loyale, konfliktfreie Mitarbeitende gesetzt, anstatt zu erkennen, wer das neue „Schiff“ wirklich steuern, reparieren und vergrößern kann. Entscheidungen werden unter Druck getroffen, ohne Zukunftsstrategie – man verschiebt das Problem auf später, flickt das Leck und streicht das Schiff neu an.

Doch Unternehmen lassen sich nicht wie Excel-Tabellen führen. Sie sind soziale Systeme. Wenn man sie entmenschlicht, bricht ihr innerer Kern.

Was es wirklich braucht: Klarheit, Struktur, Menschlichkeit

Die bessere Alternative: Struktur, Klarheit und ein klarer Regelrahmen. Aber eben nicht zu Lasten der Menschlichkeit.

Denn wir Menschen sind komplex: Wir sind oft schlecht darin, unsere eigenen Stärken zu erkennen. Wir bringen unterschiedliche Werte, Glaubenssätze und Erwartungen mit. Manche sind fachlich exzellent, aber sozial überfordert. Andere klammern sich an Jobsicherheit, statt sich ins größere Ganze einzufügen.

In solchen Systemen entstehen Misstrauen, interne Konkurrenz, Unsicherheit. Und genau hier braucht es Führung, die sowohl Strukturen schafft, als auch den zwischenmenschlichen Raum hält.

Klare Rollen sind notwendig – aber sie dürfen nicht ausgenutzt werden. Regeln müssen gelten – aber nicht zum Fingerpointing führen. Veränderungen müssen kommen – aber nicht jeder wird diesen Weg mitgehen.

Führung bedeutet in diesem Kontext: Mut, Klarheit, Haltung. Und die Fähigkeit, Systeme zu steuern, in denen Menschen sich entfalten können.

Was Führung jetzt praktisch tun kann (mit Selbstreflexion)

Wenn Stellenabbau keine langfristige Lösung ist – was dann?

1. Das Kerngeschäft auf den Prüfstand stellen

Was trägt das Unternehmen wirklich? Muss das Geschäftsmodell geschärft, digitalisiert oder vereinfacht werden? Reicht der Vertrieb? Gibt es neue Märkte, neue Kundengruppen, neue Preismodelle?

2. Rollen klären – individuell und organisatorisch

Neue Rollen funktionieren nur, wenn sie verstanden, akzeptiert und gewollt sind. Sie müssen zu Werten, Kompetenzen und Zielen der Mitarbeitenden passen. Andernfalls entstehen innere Kündigung und Reibung.

3. Entscheidungen mit Weitblick treffen – und Verantwortung abgeben

Die zentrale Führungsfrage lautet:
Sichert diese Entscheidung das Überleben der Firma?
Habe ich zahlende Kunden? Ist mein Angebot noch relevant? Wie entwickle ich den Markt weiter? Und: Wer darf Entscheidungen mittragen?

4. Dialogräume schaffen – und Vertrauen aktiv aufbauen

Führung bedeutet Kommunikation. Ohne Austausch entsteht kein Vertrauen. Wer führen will, muss zuhören – und die eigene Haltung regelmäßig reflektieren. Coaching ist hier kein Luxus, sondern Pflicht.

Denn Führung beginnt bei Selbstführung. Wer sich nicht kennt, entscheidet im Blindflug. Wer keine Reflexion hat, wiederholt Muster. Und wer nie den Rahmen wechselt, sieht nur seine eigene Perspektive.

Die Krise als Schule für echte Führung

Das überschüssige Fett, der Speck des Wohlstands – entstanden durch ausgebliebene Entscheidungen, schlechte Marktbeobachtung und ein zu groß gewordenes Ego – wird jetzt sprichwörtlich durch Massenentlassungen abgeschnitten.

Doch genau das ist der Moment für echte Führung: Eine neue Generation kann jetzt lernen, worauf es im Unternehmertum wirklich ankommt – Klarheit, Weitsicht, Reflexion.

Gleichzeitig haben wir ein Paradox: Während Fachkräfte in der Produktion fehlen, gibt es im kaufmännischen und strategischen Bereich einen massiven Überschuss. Viele Unternehmen werden weiter ins Ausland verlagern – weil Kosten steigen. Aber genau deshalb braucht es Führung, die nicht nur operativ funktioniert, sondern systemisch denkt.

Niemand wird als Unternehmer geboren. Fehler sind Teil des Spiels. Aber in der heutigen Zeit entscheidet nicht mehr, wer Fehler macht, sondern wer aus ihnen besser, schneller und bewusster lernt.

Genau darin liegt die neue unternehmerische Exzellenz.

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Lars Strempel

Lars Strempel ist ehemaliger Geschäftsführer, internationaler Director, Unternehmer und zertifizierter Systemischer Coach. 
In seiner Beratung hilft er Selbständigen & Unternehmern bei Klarheits- und Veränderungsprozessen für mehr Wirtschaftlichkeit und Wachstum in Positionierung, Marketing und Vertrieb.