Der Projektvertrieb (auch: projektgetriebener Vertrieb) beschreibt die Aufgabe, Projekte zu akquirieren, die aufgrund einer in der Regel einmaligen Kundeninvestitionen, meist von beträchtlichem Wert, entstehen. Im Projektvertrieb können zwischen Anfrage und Auftrag durchaus Monate bis Jahre vergehen.
Anfragen im Projektvertrieb erhalten Sie, wenn man Ihnen zutraut, dass Sie große Projekte (vielleicht bei Ihnen ab 10.000 EURO, bei einem anderen Leser ab 100.000 EURO oder welcher Projektwert auch immer) zuverlässig und mit hoher Qualität realisieren können. Dazu brauchen Sie Referenzen, Qualifikationsnachweise, eine hohe Bekanntheit und Wahrnehmung in Ihrem Markt sowie eine ausgezeichnete Reputation.
Erstklassige Beziehungen zu Ihren Kunden sind dabei das A und O. Im Projektvertrieb zahlt es sich aus, dass Sie Ihre Kunden kontinuierlich betreuen, denn nur dann erfahren Sie als einer der ersten von einem anstehenden Großprojekt.
Sobald Sie wissen, dass seitens eines Kunden eine Investition ansteht, wechselt Ihre Vertriebssystematik vom Kundenvertrieb zum Projektvertrieb. Nicht der Kunde an sich, sondern das Großprojekt steht ab jetzt im Zentrum Ihrer Aufmerksamkeit.
Die folgenden zehn Schritte sollen Ihnen helfen, Ihren Projektvertrieb effizient zu gestalten und größere Projekte (Kauf einer Maschine, Errichtung einer Anlage oder eines Gebäudes, großes Software-Projekt etc., also Investitionsvorhaben ab ca. 10.000 Euro) im diskontinuierlichen Projektgeschäft erfolgreich zu akquirieren. Wenden Sie diese Schritte an, wenn Sie Ihre Chancen, einen Auftrag für ein großes Projekt zu erhalten, deutlich verbessern wollen.
Schritt 1 im Projektvertrieb: Kontinuierliche Betreuung
Ihr Kunde muss Sie kennen (und Sie Ihren Kunden!). Nur wenn Ihr Kunde weiß, welche Kompetenzen Sie im Projektgeschäft zu bieten haben, kann er Sie/Ihr Unternehmen bei einem anstehenden Projekt berücksichtigen. Auch wenn gerade kein Projekt ansteht, was ja der Normalfall ist, müssen Sie regelmäßig mit Ihrem Kunden kommunizieren. Persönliche Besuche gehören dazu. In welchem Turnus Sie dies tun, müssen Sie selbst entscheiden. Je nach Kunde kann das ein Mal bis zu mehrere Male im Jahr sein. In dieser Phase handelt es sich noch um den kundengetriebenen Vertrieb mit dem Ziel, rechtzeitig von einem Investitionsvorhaben zu erfahren, um bereits in der Vorprojektphase mit dem Projektvertrieb anzusetzen.
Schritt 2 im Projektvertrieb: Die Projektliste als zentrales Steuerungsinstrument
Legen Sie eine Projektliste an. Die Projektliste ist das zentrale Instrument in Ihrem Projektvertrieb. Anhand der Projektliste werden regelmäßig, z. B. monatlich, alle Projekte mit den am jeweiligen Projekt Beteiligten (Selling Center) durchgesprochen. Die Projektliste enthält alle Projekte, die Ihnen bekannt sind und im Projektvertrieb projektgetrieben verfolgt werden. Folgende Angaben sind zu machen:
- Kunde [Firmenname des Kunden]
- Projekt [Projektname]
- Projekttyp
- [VP = Vorprojekt]
- [PJ = Projekt]
- [AN = Angebot]
- Projektwert [€]
- Auftragswahrscheinlichkeit [%]
- Projektwert nach % [€]
- evt. Marge [€]
- evt. Marge nach % [€]
- erwartetes Auftrags-Datum [Datum]
- Verfolgungsvermerke, Bemerkungen, [Text]
- Wiedervorlage [ Datum]
Schritt 3 im Projektvertrieb: Qualifikation des Anbieters (Ihr Unternehmen)
Auf der Seite Ihres Kunden muss das für das Investitionsvorhaben verantwortliche Team (Buying Center) entscheiden, bei welchen Lieferanten die Gewerke angefragt werden. Hierfür müssen sich die infrage kommenden Firmen qualifizieren (Präqualifizierung). Als „Bewerber“ müssen Sie also Ihre Kompetenz nachweisen, um auf die Bieterliste zu kommen.
Folgende Informationen über Ihr Unternehmen werden zum Beispiel abgefragt:
- Alter des Unternehmens
- Schufa-Einträge
- Umsatz mit projektnahen Produkten und Dienstleistungen
- Anzahl der Mitarbeiter
- Auftragsgrößen
- Fertigungsstandort/e
- Anzahl der Mitarbeiter des Fertigungsunternehmens
- Referenzen
Schritt 4 im Projektvertrieb: Die Angebotserstellung
Nach Abschluss der Qualifizierung versendet Ihr Kunde die Ausschreibungen an die Firmen auf seiner Bieterliste. Zum Ausschreibungsverfahren selbst können Sie wenig beitragen. Der Kunde bestimmt die Texte und Spezifikationen sowie die (oft) sehr umfangreichen Bedingungen (Besondere Vertragsbedingungen BVB, Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen VOL, Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen VOB, Einkaufsbedingungen etc.). Auch den Termin für die Angebotsabgabe und wie das Ausschreibungsverfahren abzulaufen hat, legt der Kunde fest. Ihnen bleibt nur übrig, die Ressourcen für die Angebotsausarbeitung bereitzustellen und alle Forderungen des Kunden zu erfüllen. Das betrifft auch die Einhaltung von Form und Fristen. Ansonsten riskieren Sie den Ausschluss aus dem Vergabeverfahren.
Gerade in dieser Phase wird es Gespräche mit dem Kunden und dessen Mitarbeitern geben. Der Projektvertrieb läuft auf Hochtouren. Rückfragen sind nützlich und erlaubt. Nutzen Sie diese Gelegenheit und erfragen Sie möglichst viel zum Projektumfeld. Zum Beispiel:
- Nach welchen Kriterien erfolgt die Angebotsauswertung?
- Wer sind die Bearbeiter im Buying Center und was verantworten sie?
- Dürfen Alternativen angeboten werden und wie wird damit umgegangen?
- Welche Wettbewerber wurden angefragt?
- Welche Techniken bieten die Wettbewerber an?
- Wie hoch ist das Budget für dieses Gewerk?
- Und eine Menge weiterer Fragen, wie sie sich aus den Unterlagen und dem Umfeld der Projektkonstellation ergeben.
Schritt 5 im Projektvertrieb: Nachfassen!
Mit beträchtlichem Aufwand und einigen Kosten haben Sie Ihr Angebot erstellt. Der Kunde hat das, was er erreichen wollte und zwar kostenlos. Verspielen Sie jetzt keinen Millimeter Ihres Potentials. Bleiben Sie am Ball. Projektvertrieb heißt jetzt weiterhin Zugang zu den Bearbeitern beim Kunden finden. Ich beobachte viel zu oft Unternehmen, die in dieser wichtigen Phase in einen regelrechten Dornröschenschlaf versinken.
„Ich kann den Kunden doch nicht nerven.“ Das höre ich immer wieder. Aber das ist falsch. Zeigen Sie dem Kunden, wie wichtig er für Sie ist. Er muss spüren, dass Sie sehr daran interessiert sind, das Projekt umzusetzen.
Fassen Sie nach! Fragen Sie! Sie haben das Recht zu erfahren, wie es weitergeht! Das macht auch den gekonnten Projektvertrieb aus.
- Reaktion: Bringen Sie in Erfahrung, wie Ihr Angebot beim Kunden angekommen ist.
- Konkurrenz: Wie stehen Sie – preislich und hinsichtlich der technischen Ausführung – zum Wettbewerb da?
- Details: Braucht der Kunde Erklärungen? Wann können Sie ihm Ihr Angebot erläutern?
- Zusatzangebot: Welche Nachbesserungen sind nötig oder angebracht?
- Verfahren: Wie ist der Weg beim Kunden bis er über den Auftrag entscheidet?
- Weiteres Vorgehen: Vereinbaren Sie immer den oder die nächsten Schritte!
Alle Informationen werden gesammelt und dokumentiert – übrigens am besten in Ihrer Projektliste (siehe Schritt 2) bzw. der Anlage dazu.
Schritt 6 im Projektvertrieb: Angebotsstrategie im Selling Center
In Ihrem Unternehmen arbeiten mehrere Menschen an dem Projekt bzw. Angebot (Selling Center). Arbeiten Sie eine für alle Beteiligten gültige Argumentationsstrategie mit Ihren Kundenvorteilen aus.
Argumente für Ihr Angebot
Leisten Sie Überzeugungsarbeit und stellen Sie die Vorteile Ihres Angebotes heraus. Denken und handeln Sie aus der Sicht des Kunden. Finden Sie die Vorteile für den Kunden:
- Angebotsvorteile: die Besonderheiten Ihrer angebotenen Technik, Ihres Konzeptes,
- Wettbewerbsvorteile: die Vorteile Ihres Angebotes und Ihres Unternehmens gegenüber dem Wettbewerb und
- Kundenvorteile: der Nutzen, welchen der Kunden und sein Unternehmen aus Ihrem Angebotskonzept gewinnt.
Halten Sie die gemeinsam gefundenen Vorteilsargumente Ihres Angebotes in der Projektliste und deren Anlagen fest.
Projektvertrieb heißt die Vorteile Ihres Angebotes richtig bei allen Beteiligten im Buying Center platzieren.
Schritt 7 im Projektvertrieb: Gute Kenntnisse über das Buying Center
Genau wie bei Ihnen, sind auch bei ihrem Kunden mehrere Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen an dem Projekt und der Entscheidung über die Vergabe beteiligt (Buying Center). Versuchen Sie unbedingt herauszufinden, wer diese Menschen sind und bauen Sie gute Beziehungen zu ihnen oder zu einzelnen von ihnen auf. Nur selten wird hier autokratisch entschieden, vielmehr ist der Konsens der Normalfall. Zwar gibt es oft eine Trennung nach Technik und Einkauf, aber die beiden Bereiche entscheiden normalerweise nicht gegeneinander. Versuchen Sie herauszufinden, wo diese Mitarbeiter Engpässe und Probleme haben. In der Vergabephase können Sie sich einen entscheidenden Vorteil verschaffen, wenn Sie Kontakt halten und Lösungen zu den Engpässen und Problemen vorschlagen.
Kommunikation mit den Bearbeitern im Buying Center
Wer kann es mit wem am besten? Wo passt die Chemie? Setzen Sie Ihre Mitarbeiter genau auf diejenigen Bearbeiter im Buying Center an, zu denen sie eine gute Beziehung aufgebaut haben. Das kann nach Hierarchiestufen erfolgen, muss aber nicht. Lassen Sie überall die gleichen Vorteilsargumente vortragen. Die Menschen im Buying Center tauschen ihre Erkenntnisse untereinander aus und machen sich Ihre wohl platzierten Argumente zu eigen. Sie werden die Erfolge merken!
Schritt 8 im Projektvertrieb: Verkaufstechniken – Value Selling / Consultative Selling
Wenn Sie es noch nicht können, dann lernen Sie es. Die Rede ist von guten Verkaufstechniken wie Value Selling und Consultative Selling, welche den exzellenten Projektvertrieb ausmachen.
Value Selling
Kunden kaufen keine Produkte oder Dienstleistungen sondern das, was die Produkte und Dienstleistungen für sie leisten können. Sie kaufen den Nutzen. Wenn man Löcher kaufen könnte, würde niemand eine Bohrmaschine kaufen. Kunden wollen keine Viertel-Zoll-Bohrer mit Zentrierspitze, Doppelschneide, brüniert mit aufgelöteten Hartmetallsplittern. Sondern: Kunden wollen einfach saubere Löcher.
Ein Produkt oder eine Dienstleistung ist wertvoll, wenn
- Kunden dadurch eine bessere Wirtschaftlichkeit erreichen,
- das Unternehmen sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann,
- dadurch Risiken minimiert oder besser beherrschbar werden,
- die Prozesskette beim Kunden verbessert wird,
- Zusagen wie Termine – Kosten – Qualität – Funktionen dauerhaft eingehalten werden.
Consultative Selling
Consultative Selling = Beratungsverkauf? Nein, weitaus mehr! Beim Consultative Selling setzt sich das Selling Center ausführlich mit den Mitwirkenden im Buying Center auseinander. Welche Rolle hat dort der jeweilige Bearbeiter? Wie sehen dessen Probleme und Engpässe aus und welche Lösungsansätze bietet ihm meine Firma und mein Angebot? Was bewegt genau diesen Menschen? Befürchtungen, Frustrationen, dringende Probleme, „Schmerzen“ und Ängste, Wünsche, Ziele und Ansprüche, alltägliche Erfahrung und gelebte Realität, Sachzwänge, Bedarf nach Verbesserungen? Auch das ist Projektvertrieb.
Schritt 9 im Projektvertrieb: Geschicktes Taktieren in der Auftragsverhandlung
Geschicktes Taktieren macht den Erfolg in der Auftragsverhandlung. Zugegeben: Da müssen Könner ans Werk. Die Kunst liegt im Zuhören und genauen Hinhören. Der Könner schweigt lange und lässt das Buying Center reden. Nicht selten treten jetzt Differenzen innerhalb der Mannschaft des Buying Centers zutage – meist eine komfortable Situation für den Anbieter und seine Argumente.
Grundsätzlich verläuft eine Vergabeverhandlung in drei Phasen: 1. Klärung letzter technischer Details, 2. Klärung der kommerziellen Bedingungen und 3. Festlegung des letzten Preises. In Phase Drei müssen Sie besonders gut aufpassen. Halten Sie sich bis zuletzt mit Ihrem Preis zurück. Denn Änderungen in der Technik und bei den Rahmenbedingungen wirken sich immer auf den Preis aus. Das dürfen und müssen Sie stets zum Ausdruck bringen.
Lesen Sie dazu auch den Artikel: Wie wird eine Auftragsverhandlung geführt?
Schritt 10 im Projektvertrieb: Den Auftrag feiern
Sie haben den Auftrag gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Jetzt darf auch mal gefeiert werden, denn auch das gehört zum guten Vertrieb. Anhalten und sich freuen. Nur eine schlechte Unternehmenskultur lässt den Erfolg im Alltag untergehen. Halten Sie an und feiern Sie. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Glauben an das Unternehmen.
Übersicht zur Beitragsserie „Grundlagen im Vertrieb“
- CRM – Das Wissen um den Kunden (Kundendaten und Adressen)
- Vertrieb in KMU: Adressenqualifikation
- Telefonakquise: „Erstkontakt zum richtigen Mitarbeiter beim Kunden“
- Telefonakquise: „Folgekontakte zum Ansprechpartner beim Kunden“
- Das Verkaufsgespräch – Persönliches Treffen mit dem Kunden
- Telefonakquise: “Nachfassen beim Kunden”
- Angebotserstellung – Wie erstelle ich ein Angebot?
- Wie wird eine Auftragsverhandlung geführt?
- Die Krönung – „Der Auftrag”, es darf gefeiert werden
- Bestandskunden- oder Neukundenakquise?
Oder Sie laden sich das Vertriebshandbuch runter: Vertriebshandbuch – kurz und bündig zum kostenlosen Download
Übersicht zur Beitragsserie „Vertrieb für Fortgeschrittene“
- Marketing und Vertrieb – Der richtige Weg zum Kunden!
- Marktanalyse B2B ganz einfach: Führen Sie Partnerschaftsgespräche!
- Vertriebssystematik ist der Motor Ihrer Akquise
- Zehn Schritte im Projektvertrieb zur erfolgreichen Projektakquise
- Elf Tipps aus der Verkaufspsychologie für Ihren erfolgreichen Vertrieb
- Value-Selling – Echter Nutzen für Ihre Kunden
- Mit Value-Selling in 5 Schritten Mehrwerte identifizieren und verkaufen
- Consultative Selling – in sieben Schritten zum lösungsorientierten Verkauf
Das Vertriebshandbuch Teil 2 – das kostenlose eBook “Vertrieb für Fortgeschrittene” befindet sich in Vorbereitung.
(Fotos: siehe oben | © Artmann Witte | © Dr Dufhues Medizintechnik | © Studte-Cartoons | © Lambert Schuster)