Geschätzt gibt es in Deutschland eine Million Scheinselbstständige. Scheinselbstständigkeit ist rechtswidrig, sie gilt als eine Art der Schwarzarbeit. So viel vorab. Für einen Unternehmer, der bestimmte Tätigkeiten von einem Freiberufler oder Selbstständigen ausführen lässt, birgt Scheinselbstständigkeit ein höheres Risiko als für den Auftragnehmer. Denn dem Unternehmer drohen bei festgestellter Scheinselbstständigkeit hohe Nachzahlungen und Bußgelder, zum Beispiel für entgangene Lohnsteuer und Sozialbeiträge. Der (schein)selbstständige Auftragnehmer hingegen wird nur in Ausnahmefällen von den Behörden belangt. Daher ist es wichtig, dass Sie vor allem als Unternehmer wissen, wie Sie Scheinselbstständigkeit verhindern können.
Informieren Sie sich über Scheinselbstständigkeit
Ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, das heißt, ob ein „selbstständiger“ Auftragnehmer de facto als regulär Beschäftigter mit allen dazugehörigen Rechten, Pflichten und gesetzlichen Abgaben eingestuft werden müsste – das ist meist nicht so einfach festzustellen. In diesem Artikel zeige ich Ihnen daher auf, worauf Sie achten müssen und mache Ihnen anhand von Praxisbeispielen deutlich, wie schnell Sie in die Verlegenheit einer Scheinselbstständigkeit kommen können. Außerdem erfahren Sie, bei welchen offiziellen Stellen Sie sich informieren und sogar den Status von Erwerbstätigen in Ihrem Unternehmen feststellen lassen können.
Motive für die Scheinselbstständigkeit – Unwissenheit
Oft entsteht Scheinselbstständigkeit einfach aus Unwissenheit und Unachtsamkeit: Der Unternehmer überträgt einen Teilbereich aus seiner Geschäftspraxis einem Selbstständigen. Gerade für junge Unternehmen bietet sich so ein „Outsourcing“ an, denn man kann schließlich nicht alles selber machen, und direkt am Anfang schon Angestellte zu beschäftigen, ist auch nicht immer ratsam. Doch Vorsicht! Wenn Ihr Auftragnehmer regelmäßig in Ihren Geschäftsräumen nach Ihrer Anweisung und mit Ihrer technischen Ausstattung arbeitet, kann schnell eine Scheinselbstständigkeit vorliegen. Das ist kein böser Wille, aber leider trotzdem rechtswidrig.
Motive für die Scheinselbstständigkeit – Vorsatz
Allerdings gibt es auch Fälle, in denen bewusst eine Scheinselbstständigkeit in Kauf genommen wird, damit der Auftragnehmer nicht als Angestellter gilt und der Unternehmer zum Beispiel
- Sozialversicherungsbeiträge einsparen kann
- keine Lohnsteuer abführen muss
- gesetzliche oder betriebliche Regelungen zum Urlaubsanspruch, Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall umgehen kann
- Mindest- oder Tariflöhne nicht zu zahlen braucht
- bei ausländischen Auftragnehmern keine Arbeitserlaubnis einfordern muss.
Scheinselbstständigkeit ist nicht immer klar zu bestimmen
Ein klares Raster, anhand dessen man Fälle von Scheinselbstständigkeit eindeutig identifizieren kann, gibt es leider nicht. Die Statusbestimmung ist immer eine Ermessenfrage. Je mehr Kriterien erfüllt sind, desto klarer kann die Einordnung erfolgen.
Typische Anzeichen für eine Scheinselbstständigkeit sind:
- Persönliche Abhängigkeit
- Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt bzw. Organisation der Tätigkeit
- Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort
- Feste Bezüge
- Überstundenvergütung
- Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall
- Urlaubsanspruch oder Anspruch auf sonstige Sozialleistungen
- Fehlendes Unternehmerrisiko und Unternehmerinitiative
- Fehlender Kapitaleinsatz
- Keine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln
- Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern
- Eingliederung in den Betrieb
- Geschuldet wird die Arbeitskraft, nicht aber ein Arbeitserfolg.
So erkennen Sie Scheinselbstständigkeit
Des Weiteren bekommt man anhand von auf die Person bezogenen Kriterien Klarheit über den Status Scheinselbstständigkeit. Liegen mindestens drei der folgenden fünf Kriterien vor, wird eine Scheinselbstständigkeit vermutet:
- Die Person (Freiberufler, Selbstständiger) beschäftigt selbst regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer.
- Die Person ist auf Dauer nur für einen Auftragnehmer tätig bzw. mindestens 5/6 seines Umsatzes werden durch diesen Auftraggeber generiert.
- Der Auftraggeber der Person lässt ähnliche Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm (sozialversicherungspflichtig) beschäftigte Arbeitnehmer ausführen. (In diesem Fall spricht es allerdings wieder gegen eine Scheinselbstständigkeit, wenn die Person ihre Arbeiten nicht im Unternehmen des Auftraggebers erbringt).
- Die Tätigkeit der Person zeigt keine Merkmale unternehmerischen Handelns. (In diesem Fall spricht es wiederum gegen eine Scheinselbstständigkeit, wenn die Person ihre Preise frei gestaltet, Angebote erstellt, über ihre Arbeitszeiten frei bestimmen kann und eigenes Marketing betreibt).
- Die Person hat eine ähnliche Tätigkeit für denselben Auftraggeber zuvor im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt.
Scheinselbstständig oder nicht? Einige typische Fälle
Jetzt dürfte die Sache schon klarer sein. Vergeben Sie als Unternehmer Aufträge an Selbstständige oder Freiberufler? Oder arbeiten Sie als Selbstständiger in einem Unternehmen? Dann prüfen Sie genau, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Zum weiteren Verständnis habe ich für Sie in Zusammenarbeit mit dem Rechtsanwalt Dr. Harald Jung (SSP Köln) einige typische Fälle unter die Lupe genommen:
Scheinselbstständig oder nicht? Beispiel 1:
Ein freiberuflicher Grafikdesigner arbeitet zweimal pro Woche je acht Stunden in den Räumen einer Agentur nach den Anweisungen und mit der Hard- und Software des Auftraggebers. Die Arbeitszeiten sind grob festgelegt, z.B. Beginn zwischen acht und zehn Uhr. Der Grafikdesigner hat selbst auch ein Büro (extern oder zuhause) und weitere Kunden, die er betreut.
-> Keine Scheinselbstständigkeit: Ein gewisses Maß an Eingliederung in das Unternehmen ist notwendig, um die Arbeit zu verrichten. Insofern ist es unwesentlich, dass der Grafikdesigner die Kriterien des festgelegten zeitlichen Umfangs der Dienstleistungen und der Unselbstständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit erfüllt sind. Jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht besteht Unabhängigkeit.
Scheinselbstständig oder nicht? Beispiel 2:
Ein freiberuflicher kaufmännischer Berater arbeitet 35 Stunden pro Woche in einem Unternehmen und nutzt dort seinen eigenen Laptop. Er hat Zugang zu allen Dateien im Netzwerk. Seine Tätigkeit erfolgt in enger Abstimmung mit dem Geschäftsführer. Der Berater muss monatlich detailliert über seine Tätigkeit an die Geschäftsführung berichten. Er hat außer diesem Kunden noch einen anderen Kunden, bei dem er ebenfalls vor Ort, aber nur fünf Stunden pro Woche arbeitet.
-> Scheinselbstständigkeit: Hier sind drei (1., 2., 4.) der oben aufgeführten fünf Vermutungskriterien erfüllt. Der Berater ist scheinselbstständig.
Scheinselbstständig oder nicht? Beispiel 3:
Ein selbstständiger IT-Berater arbeitet regelmäßig in verschiedenen Projekten, derzeit für acht Monate in ein- und demselben Unternehmen, wo er nach Anweisung des Projektleiters ein umfassendes IT-Netzwerk aufbaut. Er ist dauernd im Betrieb, hat im Moment keinen anderen Kunden, aber es ist klar, dass nach acht Monaten Schluss ist. Bezahlt wird er nach Zwischenrechnungslegung abschnittsweise.
-> Keine Scheinselbstständigkeit: Der IT-Berater arbeitet selbstständig. Zwar führt er während der Dauer des Projektes nur Arbeiten für einen einzelnen Auftraggeber aus, jedoch ist die Zusammenarbeit von vorneherein klar begrenzt auf ein Projekt in einem bestimmten Zeitraum. Wirtschaftlich ist der Berater selbstständig, da er die Rechnungslegung nach eigener Maßgabe vornimmt.
Scheinselbstständig oder nicht? Beispiel 4:
Ein Kraftfahrer, der lange Zeit arbeitslos ist, macht sich selbstständig. Sein ehemaliger Chef stellt ihm hierfür einen LKW zur Verfügung. Er wird auch sein einziger Auftraggeber. Die Routen bestimmt ebenfalls sein alter Chef.
-> Scheinselbstständigkeit: Das ist ein klassischer und eindeutiger Fall. Hier sind drei der o.g. fünf Vermutungskriterien erfüllt. Der Kraftfahrer ist scheinselbstständig.
Welche Folgen sind bei festgestellter Scheinselbstständigkeit zu befürchten?
Gleich mehrere Behörden haben ein Interesse daran, Scheinselbstständigkeit aufzuspüren:
- die Deutsche Rentenversicherung, wenn ihr Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten wurden
- das Finanzamt, wenn ihm Steuern (Lohn- und Umsatzsteuer) vorenthalten wurden
- der Zoll, wenn Schwarzarbeit vorliegt oder keine Arbeitserlaubnis erteilt ist.
Wird eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, so wird der Auftragnehmer plötzlich zum Angestellten, auch im Nachhinein, sollte das Arbeitsverhältnis bereits beendet sein. Der Auftraggeber ist oder war dann also tatsächlich der Arbeitgeber des Scheinselbstständigen. Damit muss er Sozialversicherungsbeiträge, Lohn- bzw. Einkommen-Steuer und den geltend gemachten Lohnsteuerabzug be- und nachzahlen. Wenn Dienst- oder Werkleistungen in einem Scheinselbstständigkeitsverhältnis stattfinden, handelt es sich um Schwarzarbeit. Dann kann ein Strafverfahren eingeleitet und es können Bußgelder fällig werden. Zuletzt kann der Arbeitnehmer bei festgestellter Scheinselbstständigkeit seinen Arbeitnehmerstatus einklagen.
So schützen Sie sich vor Scheinselbstständigkeit
Lassen Sie es als Auftraggeber gar nicht erst so weit kommen. Prüfen Sie bei der Vergabe von Aufträgen an Selbstständige oder Freiberufler stets, ob die oben genannten Kriterien für die Scheinselbstständigkeit ganz- oder teilweise erfüllt sind. Wiederholen Sie die Prüfung regelmäßig, denn im Laufe der Zusammenarbeit kann sich eine Scheinselbstständigkeit auch langsam entwickeln. Außerdem können Sie eine freiwillige Statusfeststellung gemäß § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung beantragen und sich so der Einordnung versichern. Die Rentenversicherung hat zudem einen Katalog (nach Berufsgruppen gegliedert) zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit veröffentlicht. Darüber hinaus kann bei dem zuständigen Finanzamt eine Anrufungsauskunft gestellt werden.
Nachstehend einige Links, die Ihnen helfen sollen, Scheinselbstständigkeit zu verhindern
Deutsche Rentenversicherung: Statusfeststellung von Erwerbstätigen (Rundschreiben)
Deutsche Rentenversicherung: Merkmale für Scheinselbstständigkeit
IHK Frankfurt zur Scheinselbstständigkeit
Handwerkskammer Chemnitz zur Scheinselbstständigkeit
Weiterführende Informationen und ein reeller Fall zur Scheinselbstständigkeit:
Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. Mai 2013 – L 5 R 863/12 –, juris
Scheinselbstständigkeit – Böse Falle für Unternehmer
RA Dr. Harald Jung
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