Das Führungsgespräch dient der Beurteilung der Führungskraft
Was genau ist ein Führungsgespräch? Nun, darüber ist man sich nicht einmal in der gängigen Fachliteratur einig. Für die einen ist ein Führungsgespräch einfach ein Gespräch der Führungskraft mit einem Mitarbeiter. Für die anderen ist es ein Gespräch einer Führungskraft mit dem nächsthöheren Vorgesetzten. Korrekt ist jedoch:
Das Führungsgespräch dient der Beurteilung der Führungskraft durch die Mitarbeiter.
Stärken, Verbesserungspotenziale, Führungsstil, Verhalten – alles kommt auf den Tisch, und zwar unter Leitung eines (idealerweise) externen Moderators.
Lesen Sie, wie es dazu kam, dass das Führungsgespräch in großen Unternehmen zum Standard wurde und welche Phasen es üblicherweise durchläuft. Für Schnellleser habe ich die wichtigsten Punkte nachstehend kurz und knapp zusammengefasst. [Abschnitt für Schnellleser überspringen und direkt zum vollständigen Artikel über das Führungsgespräch gehen…]
Für Schnellleser – Das Führungsgespräch in drei Phasen
Führungsgespräch – 1. Schritt: Stärken und Verbesserungspotenziale
Unter der Leitung eines (externen) Moderators erfassen die Mitarbeiter die Stärken des Chefs aus ihrer Sicht. Unterschiedliche Wahrnehmungen werden erörtert, abgestimmt und – soweit möglich – in einen Konsens gebracht. Anschließend werden die gewünschten Veränderungen zusammengestellt. Zeitgleich erarbeitet die Führungskraft aus eigener Sicht ihre Stärken und Verbesserungspotenziale. Beide, Mitarbeiter und Chef, verwenden dazu einen vorgefertigten Fragebogen. [mehr zu Phase eins im Führungsgespräch…]
Führungsgespräch – 2. Schritt: Abstimmung Fremdbild – Eigenbild
Unter der Leitung des Moderators stimmen Mitarbeiter und Vorgesetzter ihre Einschätzungen ab. Die Stärken werden zuerst erörtert, unterschiedliche Sichtweisen müssen die Beteiligten im Führungsgespräch ergründen. Hier besteht möglicherweise viel Diskussionsbedarf. Anschließend werden auch hinsichtlich der Verbesserungspotenziale Fremd- und Eigenbild abgestimmt. Ziel ist immer, einen Konsens zu finden, mit dem beide Seite gut leben können. [mehr zu Phase zwei im Führungsgespräch…]
Führungsgespräch – 3. Schritt: Maßnahmen vereinbaren und festhalten
Am Ende werden im Führungsgespräch drei bis fünf Verbesserungspotenziale festgelegt, an denen der Vorgesetzte in den nächsten Monaten arbeiten wird. Die Vereinbarung der Maßnahmen muss realistisch sein und ohne Zwang erfolgen. Veränderungen brauchen Zeit – auch bei Führungskräften. Abschließend werden alle Vereinbarungen aus dem Führungsgespräch schriftlich in einem Protokoll festgehalten. [mehr zu Phase drei im Führungsgespräch…]
Kurze Entwicklungsgeschichte des Führungsgesprächs
Führungsgespräch als Konsequenz aus einem veränderten Führungsstil
Die unterschiedlichen Auffassungen darüber, was ein Führungsgespräch ist, sind womöglich auf dessen noch junge Geschichte zurückzuführen. Früher, teilweise noch bis in die Achtziger Jahre, lief das nämlich so: Der Chef galt als unantastbar. Er thronte im Einzelbüro, ließ die Mitarbeiter antanzen und zittern. Er durfte befehlen und brüllen. Die Mitarbeiter hatten seinen Anweisungen zu folgen. Freiheiten für Mitarbeiter? Förderung? Mitbestimmung? Verantwortung? Fehlanzeige! Stattdessen Dienst streng nach Anweisung von oben. Der Chef hatte immer Recht. Als „modern“ galt ein Unternehmen schon, wenn es jährlich für jeden Mitarbeiter ein Beurteilungsgespräch gab. Dies verlief natürlich nur in eine Richtung, nämlich von oben nach unten. Aber in den achtziger Jahren änderte sich der Führungsstil. Dem Mitarbeiter wurden nicht nur Aufgaben, sondern auch Verantwortungen übertragen. Es wurden Ziele gesetzt. Partizipation setzte sich immer mehr durch. Das Beurteilungsgespräch wandelte sich zum Mitarbeitergespräch und fiel ein wenig partnerschaftlicher aus.
Das Führungsgespräch – eine Revolution im Unternehmen
Anfang der Neunzigerjahre wandelte sich das Bild grundlegend. Das lebendige Unternehmen war jetzt modern, es zeichnete sich aus durch Kooperation, Abbau von Hierarchien, Übertragung von Verantwortung auf Mitarbeiter. Und mit diesem Wandel hielt das Führungsgespräch Einzug in die Großunternehmen. Was heute in großen Betrieben Normalität ist, war damals eine kleine Revolution: Erstmals gaben die Mitarbeiter – als Team und im Konsens – eine Beurteilung über ihren Chef ab. Der Chef wiederum legte sein Eigenbild vor. Im Anschluss wurden die Einschätzungen abgeglichen und festgestellt, wo es Übereinstimmungen gab und wo gegenteilige Sichtweisen vorlagen. Nicht jede Führungskraft sah sich damals in der Lage, diesen „Kulturschock“ zu verdauen.
Heute Normalität: Das Führungsgespräch im Großunternehmen
Heutzutage ist das Führungsgespräch gang und gäbe in großen Unternehmen. Leider aber nur dort, in kleinen und mittleren Unternehmen ist es leider oft immer noch ein Fremdwort. Dabei ist das Führungsgespräch auch in kleineren Unternehmen ein wirkungsvolles Werkzeug, um die Kommunikation und Kultur im Unternehmen zu verbessern, das Miteinander zu stärken und Mitarbeiter zu motivieren.
Das Führungsgespräch: So läuft es ab
Zum Ablauf vom Führungsgespräch gibt es, wie sollte es anders sein, verschiedene Methoden. Ich empfehle, ähnlich dem Mitarbeitergespräch, auch beim Führungsgespräch eine einfache Methodik.
Der grobe Ablauf sieht so aus: Suchen Sie einen Moderator, auf den sich alle (Mitarbeiter und Führungskraft) einigen können. Der Moderator bündelt die verschiedenen Betrachtungsweisen der Mitarbeiter über den Chef und führt sie in einen Konsens. Der Chef bleibt zunächst außen vor. Er trägt im Alleingang seine Stärken als Vorgesetzter und seine Verbesserungspotenziale zusammen. Anschließend stimmen Mitarbeiter und Chef unter der Leitung des Moderators Fremd- und Eigenbild ab. Am Ende einigen sich alle auf drei bis fünf Verbesserungspotenziale, an denen der Chef in den nächsten Monaten arbeiten wird.
Die drei Phasen im Führungsgespräch
Im Einzelnen durchläuft das Führungsgespräch die folgenden drei Phasen:
Phase eins zum Führungsgespräch: Stärken und Verbesserungspotenziale erarbeiten
Die Mitarbeiter im Team erarbeiten unter der Leitung des Moderators die Stärken des Chefs aus ihrer Sicht. Das ist gar nicht so einfach, denn natürlich haben verschiedene Mitarbeiter unterschiedliche Wahrnehmungen von ihrem Chef. Diese gilt es zu erörtern, abzustimmen und möglichst in einen Konsens zu bringen.
Nach den Stärken befassen sich die Mitarbeiter mit den Veränderungen, die sie sich von ihrem Chef wünschen. Auch das ist eine echte Herausforderung, denn das Team soll ja zu allen Aussagen einen Konsens finden. Hier gibt es schon mal heftige Diskussionen an, aber gerade das macht eine hohe Qualität beim Führungsgespräch aus.
Währenddessen nimmt sich der Chef selbstkritisch unter die Lupe und erarbeitet seinerseits Stärken und Verbesserungspotenziale. Man sollte meinen, dass er es einfacher hat, er muss sich ja mit niemandem abstimmen. Aber gerade die Selbstreflexion ist für viele Führungskräfte eine große Herausforderung.
Die Einschätzungen seitens der Mitarbeiter und die eigene Einschätzung der Führungskraft erfolgt anhand eines vorgefertigten Fragebogens. Ein gutes Beispiel für einen solchen Fragebogen finden Sie über einen Link am Ende dieses Artikels.
Phase zwei zum Führungsgespräch: Die Abstimmung von Fremd- und Eigenbild
Jetzt kommen Mitarbeiter und Chef zusammen, um unter der Leitung des Moderators ihre Einschätzungen abzustimmen.
Am Anfang stehen im Führungsgespräch die Stärken, und zwar aus der Sicht der Mitarbeiter und aus der Sicht des Vorgesetzten. Dort, wo Konsens besteht, muss nicht weiter diskutiert werden. Aber die Abweichungen in den verschiedenen Sichtweisen müssen im Führungsgespräch ergründet werden. Hier ist der Moderator gefragt: Warum weichen die Sichtweisen ab? Ist das begründbar? Gibt es Argumente, warum Sichtweisen revidiert werden können – sowohl von den Mitarbeitern als auch vom Chef?
Dann sind die Verbesserungspotentiale dran – naturgemäß ist das der heikelste Punkt im Führungsgespräch. Auch hier werden Fremdbild und Eigenbild gegenübergestellt – übrigens wundern sich die Beteiligten dabei regelmäßig über den hohen Grad an Übereinstimmungen. Wie bei den Stärken werden im Führungsgespräch gerade bei den Verbesserungspotentialen die Ursachen abweichender Betrachtungen erforscht und analysiert. Oft kommt es dann zu neuen Erkenntnissen und weiteren Übereinstimmungen.
Phase drei zum Führungsgespräch: Die Maßnahmenvereinbarung
Das Führungsgespräch hat nur Sinn, wenn der Chef ehrlich zur Verbesserung seines Führungsstils beitragen will. Also werden am Ende, wie auch beim Mitarbeitergespräch, drei bis fünf Verbesserungspotenziale vereinbart, an deren Veränderung der Chef in den nächsten Monaten arbeiten wird. Diese Festlegung darf nur ohne Zwang erfolgen. Manchmal ist es dem Chef nicht oder nicht so schnell möglich, das eine oder andere zu verbessern. Das muss akzeptiert werden.
Zum Abschluss: Protokoll zum Führungsgespräch
Die Ergebnisse, insbesondere die Verbesserungsmaßnahmen aus dem Führungsgespräch werden schriftlich in einem Protokoll festgehalten und von allen Beteiligten unterschrieben.
Fragebogen zum Führungsgespräch
Einen guten Vordruck für die Einschätzung der Stärken und Verbesserungspotenziale (von Wolfram Schiering), den Mitarbeiter und Vorgesetzte gleichermaßen verwenden können, finden sie hier: Fragebogen zum Führungsgespräch
(Fotos: Fotolia © xiller | © stboy | © Robert Kneschke | pixelio.de © isinor)
Sich auf ein Führungsgespräch einzulassen, erfordert viel Vertrauen in den Moderator und in das Wohlwollen der Mannschaft. Meine Erfahrungen damit sind sehr unterschiedlich und reichen von dem beschriebenen „jetzt würgen wir dem Chef eine rein“ (Firma A) bis zum “ toller Chef, aber denk bitte auch an…“ (Firma B). Das spiegelt die allgemeine Unternehmenskultur wieder. Ein, aus meiner Sicht, guter Moderator hat mich dabei leidenschaftlich aufgebaut, dass ich mich (bei dem zu erwartenden Shitstorm nach einer Fusion) zu den geäußerten „Schwächen“ nicht rechtfertigen, sondern sie zur Kenntnis nehmen und ertragen soll.
Die von den Mitarbeitern vorgetragenen „Schwächen“, haben zumindest auf meiner Seite unterschiedliche Veränderungen im Führungsstil hervorgerufen. Während ich bei „A“ mehr an der formellen Distanz und klaren Strukturen gearbeitet habe, ist bei „B“ die Mannschaft und ich näher zusammengerückt, und das über 4 Länder.
Eine Chance zur Verbesserung der Zusammenarbeit ist so ein Werkzeug allemal, ein Gewinn an Empathie der Mannschaft ist m. E. abhänging vom Geist, der im Unternehmen herrscht.
Guten Tag Herr Stankiewicz,
vielen Dank für Ihren Erfahrungsbericht. Das sind wertvolle Hinweise. Ja, ein Führungsgespräch ist kein einfaches Mittel in der Personalführung, in der Regel aber ein sehr wertvolles Mittel.
Liebe Grüße
Lambert Schuster
Das Führungsgespräch erlaubt dem Chef einen Perspektivewechsel. Selber habe ich als Chef so ein Feedback schon bekommen und als ausgebildeter Moderator habe ich bereits viele Führungsgespräche (so erfolgreich) moderiert, dass die moderierten Chefs mich wiederholt bestellten. Aus beiden Perspektiven kann ich sagen, dass es sich lohnt, wenn der Chef das zur Chefsache macht – Vertrauenskultur! Für ein Führungsgespräch sollten Sie 2,5h bis 3h netto planen und eine Mitarbeiteranzahl zwischen 4 und 6 für eine Gruppe planen; bei größeren Mitarbeiterzahlen teilt man in Gruppen von ca. 5 MA je Gruppe auf. Für das Führungsgespräch ist je zusätzliche Gruppe ca. eine halbe Stunde drauf zu legen. Ein externer Moderator ist so wichtig, weil sonst kein Vertrauen aufgebaut wird und die Rückmeldungen der Mitarbeiter mitunter nicht ehrlich ausfallen.
Guten Tag Herr Wacker,
vielen Dank für Ihre wertvollen Ergänzungen
Freundliche Grüße
Lambert Schuster