Innere Kündigung: Jeder vierte Arbeitnehmer ist mit seinem aktuellen Job so unzufrieden, dass er innerlich bereits gekündigt hat. („Die Welt“, 14. Februar 2014). Gehören Sie auch dazu? Und was bedeutet das konkret für Sie? Wer hat die Schuld daran? Na, der Chef, werden Sie vermutlich sagen. Dann habe ich hier eine provokante Frage: Haben Sie schon mal daran gedacht, sich selbst zu motivieren? Wie steht es um Ihre eigene Leistungsbereitschaft? Hätten Sie die innere Kündigung vielleicht selbst vermeiden können?
Und falls Sie noch nicht so weit sind, dass Sie innerlich bereits Ihre Kündigung ausgesprochen haben, was glauben Sie, könnten Sie tun, damit es nicht so weit kommt? Ich glaube nämlich, dass auch Sie als Angestellter an sich arbeiten können und müssen, dass Sie sich infrage stellen und Ihre Sichtweise überdenken sollten.
Innere Kündigung – Ein Blick zurück verändert die Sicht auf die Dinge
Ohne ins allgemeine Wehklagen à la „Früher war alles besser“ einstimmen zu wollen, möchte ich Ihnen einen kurzen Einblick in die Arbeitswelt vor 40 oder 50 Jahren geben. Als ich 1964 bei Siemens meinen Dienst antrat, saßen wir auf harten Bretterstühlen in Vierer- oder Fünfergruppen. Die Sitzkissen brachten wir selber mit. Die Mitarbeiter einer Schreibtischgruppe hatten zusammen ein (!) schwenkbares Telefon. Der Vorgesetzte thronte in einem Einzelbüro und ließ die Mitarbeiter antanzen. In der Regel machte er sein Gegenüber im Stehen nieder, schimpfen und brüllen war die Normalität. Der Chef hatte uneingeschränkt Recht. Anweisungen von oben waren zu befolgen. Innere Kündigung? Den Begriff kannte man nicht. Es war so, man stellte nichts infrage.
Der mündige Mitarbeiter will mehr …
Heute wäre das undenkbar – zum Glück! Die Arbeitswelt und die Führungskultur haben sich verändert. Auch und vor allem bei Siemens. Heute gibt es den mündigen Mitarbeiter, der als Angestellter und als Mensch respektiert und wertgeschätzt werden will. Er möchte nicht nur Anweisungen befolgen, sondern mitbestimmen, mitgestalten und Verantwortung übernehmen. Er will sich im Job entwickeln, vorankommen, mehr Aufgaben übernehmen. Er möchte, er will, er verlangt, er hat das Recht …
… und der Chef hat noch andere Sorgen
Tja, für den Chef ist das manchmal gar nicht so leicht. Sehen Sie es mal so: Ihr Chef hat zehn, vielleicht auch zwanzig oder vierzig Mitarbeiter. Alle sind unterschiedlich, alle erwarten etwas von ihrer Arbeit, vom Unternehmen, von ihrem Vorgesetzten. Der muss sich aber vor allem darum kümmern, dass der Laden läuft und das Unternehmen im Wettbewerb bestehen kann. Er muss Ergebnisse bringen und ist nicht allein dafür im Unternehmen, dass er sich um Ihr Wohlbefinden, um Ihr Vorankommen und um Ihr persönliches Glück kümmert.
Innere Kündigung – steuern Sie entgegen!
Ich weiß, dass das altmodisch klingt und ich bin mir darüber im Klaren, dass Führungskräfte heute anders agieren als vor 50 Jahren. Dennoch appelliere ich an Sie als Mitarbeiter, sich schon bei den ersten Anzeichen von Arbeits-Unlust, Widerstand oder gar drohender innerer Kündigung an die eigene Nase zu packen und sich selbst zu motivieren. Denn was geschieht, wenn Sie das nicht tun? Sie begeben sich in die innere Kündigung, werden stur Dienst nach Vorschrift machen, Sie werden das Interesse an „Ihrem“ Unternehmen“ verlieren, sich nicht mehr mit ihm identifizieren, anfangen, schlecht über das Unternehmen zu reden, die Arbeit Ihrer Kollegen behindern etc.
Innere Kündigung schadet der Wirtschaft enorm
Wussten Sie, dass sich die volkswirtschaftlichen Kosten aufgrund von innerer Kündigung auf eine Summe zwischen 112 und 138 Milliarden Euro jährlich belaufen? Diese unglaubliche Zahl hat das renommierte Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup herausgefunden. Ihre innere Kündigung schadet also – sehr vereinfacht gesprochen – der Gesamtwirtschaft.
Eigenmotivation statt innere Kündigung
Ich hatte mal einen Chef, der forderte von seinen Mitarbeitern, einer völlig demotivierten Truppe aus 500 Ingenieuren, mehr Eigenmotivation: „Meine Herren“, sagte er, „Sie klagen über fehlende Motivation! Motivation ist auch Ihre Sache. Ich fordere von Ihnen Eigenmotivation!“ Erstaunlicherweise gelang es ihm, ein motiviertes und leistungsfähiges Team auf die Beine zu stellen. Sein Prinzip war fordern und fördern. Er forderte immer zuerst und nur wer die Leistung brachte, den förderte er. Nicht alle konnten oder wollten so viel Eigenmotivation aufbringen, um in den Genuss des Förderns zu kommen. Aber wer die Perspektive wechselte und sich darauf einließ, der kam im Unternehmen weiter.
Innere Kündigung – NEIN! Sie sind Ihrem Chef überlegen.
Möglicherweise haben Sie Chefs, die streng daherkommen. Vielleicht haben Sie einen Vorgesetzten, der kaum Interesse an Ihnen zeigt. Oder einen, der Sie immer wieder abblitzen lässt. Vielleicht fühlen Sie sich ungerecht behandelt, nicht ausreichend wertgeschätzt oder respektiert. Das alles ist nicht richtig und macht ungute Gefühle. Es gibt, das will ich nicht leugnen, leider tatsächlich viele unfähige Führungskräfte. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass Sie Ihrem Chef in so mancher Hinsicht überlegen sind. Eine gewagte These meinen Sie? Nein, es ist so. Chefs sind doch keine Übermenschen, sind auch fehlerbehaftet, eben wie Sie und ich. Umso mehr müssten Sie eine Strategie entwickeln, um trotzdem Zufriedenheit mit dem zu erlangen, was Sie tun, mit dem Chef und der Firma, in der Sie tagtäglich Ihre Zeit verbringen.
Statt innerlich zu kündigen, betrachten Sie die Dinge realistisch. Werden Sie selbst aktiv!
Wenn Sie meinen, dass Sie mehr Verantwortung übernehmen könnten und sollten, denken Sie zuerst darüber nach, ob das in Ihrem Unternehmen überhaupt möglich ist. Gibt es noch einen Schritt für Sie auf der Karriereleiter? Oder ist das Ende erreicht? Gibt es eine Alternative – zum Beispiel in Form eines besonderen Projekts? Wenn Sie sich eine Fortbildung wünschen und man sie Ihnen nicht gewährt, dann werden Sie eben selbst aktiv, es gibt genug bezahlbare Seminare. Und der Staat fördert sogar Ihre Initiative mit dem Bildungscheck. Sicher, die muss man dann abends oder am Wochenende besuchen, aber schließlich machen Sie das in erster Linie für sich selbst bzw. dafür, leichter einen neuen Job zu finden. Vielleicht erkennt Ihr Arbeitgeber aber dann auch Ihre Motivation und spricht Sie darauf an.
Bitte bedenken Sie aber immer: Das, was Sie und Ihren Arbeitgeber verbindet, ist ein Arbeitsvertrag. Und auch wenn es noch so schön wäre – darin steht garantiert kein Wort darüber, dass die Arbeit Spaß machen soll. Vielmehr ist es ein Vertrag über ein Tauschgeschäft – Arbeitsleistung gegen Geld. Nicht mehr – vor allem aber auch nicht weniger.
Nur falls es noch nicht geschehen ist …
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich nicht vorgeschlagen habe, Sie sollen mit Ihrem Chef reden. Denn ich gehe mal davon aus, dass Sie das bereits mehrfach versucht haben. Wenn nicht, dann würde das bedeuten, dass Sie womöglich gar nicht versuchen wollen, aus Ihrer Misere herauszufinden. Dann holen Sie es nach, suchen Sie das Gespräch. Wenn Sie von vorneherein meinen, dass das nichts bringt, suchen Sie sich am besten gleich einen neuen Job, aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie bald wieder an demselben Punkt sind.
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