Liebesbriefe von Adolph, ein neuer Verehrer von Thereschen …
Aufgezeichnet von Hubert Schuster im Jahr 1970
Der neue Verehrer, Adolph, war, wie aus einem der nun folgenden Briefe hervorgeht, Student der Jurisprudenz. Die Korrespondenz beginnt am 21. Juli 1865 mit Brief Nummer eins und endet am 28. Dezember des gleichen Jahres mit der Nummer zwölf. Als besonders interessant sei noch einmal ein Auszug aus einem Schreiben vom 24. Oktober gebracht, da Adolph, der seiner Studien wegen nach Berlin ging, gerade in der Hauptstadt des Königreiches Preußen, zu dem auch damals die Provinz Westfalen gehörte, angekommen war.
Mein innig geliebtes Thereschen!
Ich hätte Dir schon eher schreiben können, aber, um Dir nicht einfach sagen zu brauchen: Ich bin glücklich angekommen in Berlin und wohne Oranienburger Straße No. 5, 3 Treppen rechts, habe ich noch etwas gewartet, um Dir auch von Berlin etwas schreiben zu können. Freilich muß ich, wenn ich ganz offen gegen Dich sein will — und das haben wir ja einander versprochen — Dir manches sagen, was gerade nicht zu meinem Lobe gereicht. Als ich nämlich ankam, fuhr ich mit einer Droschke direct nach meiner Wohnung. Da wurde ich denn zuerst von dem Droschkenkutscher ganz eklig geschnitten, da ich den Preis nicht vorher mit ihm verabredet hatte. Was sollte ich machen? Ich war vollständig unbekannt und mußte also bezahlen. Kurz darauf ging ich, um meinen Magen, der durch die lange Fahrt etwas unruhig geworden war, zu befriedigen, in ein benachbartes Gasthaus. Da aß ich dann ganz seelenvergnügt meine Portion, trank mir noch einen Seidel, und wollte dann, an nichts arges denkend, mich entfernen, als ich zu meinem Schrecken nirgends meinen Cylinderhut entdecken konnte. Ich fragte den Wirth, aber auch sein Suchen war vergebens, und er sagte mir endlich, der Hut sei vielleicht vertauscht und ich möchte deshalb den nehmen, welcher für den meinigen dagelassen sei. Da wurde mir dann ein Ding gebracht, das freilich das Aussehen eines Cylinders hatte, aber nicht des Aufhebens werth war. Ich mußte also barhäuptig wieder wandern, um in dem nächsten Laden mir einen neuen zu kaufen. Das sind die ersten Abenteuer, die ich in der Residenzstadt erlebt habe; diese werden mich gewiß immer daran mahnen, recht sorgsam meine Sachen zu bewahren. Man darf hier wirkliclich keinen Augenblick seine Sachen außer Acht lassen. Noble Spitzbuben, fein und anständig gekleidet, finden sich fast überall. Daß mir heute noch ein kleines Unglück passiert ist, indem nämlich mein nagelneuer Cylinder mir vom Kopfe flog und sich in einigen Rinnsteinen wälzte, nun, das ist menschlich, das kann jedem passieren.
Das Universitätsgebäude hat einen bedeutend größeren Umfang als die münstersche Academie. Da kann man herumlaufen, glaubt endlich am Ziele zu sein und ist dann schließlich wieder an demselben Platze, von dem man ausgegangen.
Ebenso ist es in ganz Berlin, man läuft herum, ist dann oft an Plätzen, so daß man garnicht weiß, wohin man seine Schritte lenken soll. Es ist freilich hier das Gute, daß man überall eine Droschke bekommen oder in einen Omnibus (Pferdeomnibus! Anm. d. Verf.) steigen kann, mit dem man für sechs Dreier eine Stunde weit fährt. Es sind in Berlin ungefähr 2000 Droschken und etliche Tausend Omnibusse, überall sind sie aufgepflanzt und fahren bis spät in die Nacht. Das übrige Leben ist aber hier theuer. Ungemein viel Geld kann man ausgeben, besonders im Anfang. Die Berliner sehen es einem gleich an der Nase an, daß man fremd ist und dann wird man jedesmal ganz gehörig geschnitten.
Davon später mehr. Für heute begnüge Dich mit diesem Wenigen und schreibe bald an
Deinen Dich innigst liebenden Adolph.
NS. Herzlichen Gruß an Augustchen.
Ist das nicht rührend? Und da glauben wir noch, die Menschen der „guten, alten Zeit“ seien besser gewesen als wir Heutigen!
Wer war Thereschen? – Das erfahren Sie im Theil 4
Liebesbriefe – Vier Artikel zu „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 1: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 2: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 3: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“
Theil 4: Liebesbriefe vor 150 Jahren: „Mein theuerstes Thereschen!“