Gastbeitrag zum Umgang mit Konflikten von Dr. Andreas Wintels
Es gibt Annahmen, nach denen 80% der Führungskräfte und mehr die direkte Austragung eines Konflikts vermeidet oder auch die Moderation zwischen zwei Kontrahenten. Das Regeln oder Bewältigen von Konflikten scheint hoch angstbesetzt.
Über den Umgang mit Konflikten von Mitarbeitern und Führungskräften
Manche Mitarbeiter verhalten sich unangemessen konfliktauslösend und konfliktverschärfend. Einige machen gerne durch Fehlverhalten auf sich aufmerksam. Sie alle lehnen sich bei Konfliktvermeidungsverhalten ihrer Führungskraft entspannt zurück: „Hier sind alle aggressionsgehemmt. Hier wird mir keiner was tun“. So können sie weiter ihr Unwesen treiben und Konflikte am Köcheln halten. Wenn Mitarbeiter sich auf Kosten anderer auf unfaire Weise Vorteile verschaffen oder durch permanentes Fehlverhalten auffallen, dann kann die Antwort nur eine Art von Führungsverhalten sein: Mit Konfrontation und Konsequenzen führen. Wer nur auf Kuschelkurs setzt und auf guter Kumpel macht, ist in der Funktion der Führungskraft eine glatte Fehlbesetzung. Wem traut man wohl zu, für die Sicherung des langfristigen Überlebens eines Unternehmens am Markt Verantwortung zu tragen? Wenn dies aber der Kern von Führung ist, können Unternehmen keine Systeme unbegrenzter Freundlichkeit sein. Destruktives Konfliktverhalten oder wiederholtes Fehlverhalten darf deshalb keine Führungskraft durchgehen lassen.
Ähnliches gilt selbstverständlich auch für Konflikte zwischen Mitarbeitern. Wobei das Vorkommen von Konflikten an sich kein Zeichen von schlechter Führung ist. Konflikte wird es immer geben und darf es auch geben, wenn die Führungskraft sie anspricht und ins Konfliktgeschehen eingreift – und sei es nur, um die Konfliktbewältigung an einen Mediator zu delegieren. Die Führungskraft ist jedenfalls dafür zuständig, dass Konflikte in ihrem Bereich gelöst werden. Entscheidend ist letztlich, was die Führungskraft will. Ein Konflikt ist keine private Angelegenheit. Er betrifft in seinen Auswirkungen das Unternehmen. Die Mitarbeiter sind daher zur Konfliktklärung verpflichtet, und die Führungskraft kann die Konfliktklärung durchsetzen.
Leichter fallen solche Klärungen, wenn sie frühzeitig angegangen werden. Doch die meisten Menschen bevorzugen die lange Bank, bevor sie etwas ansprechen, was sie stört oder bedrückt. Das rechtzeitige Erkennen und Ansprechen von Konflikten hängt entscheidend von der Einstellung zum Konflikt ab. Eine einfache Assoziationsübung kann erste Aufschlüsse über die eigene Haltung zu Konflikten geben: An was denke ich, wenn ich das Wort „Konflikt“ höre? Welche weiteren Begriffe verbinde ich damit? Was sind die ersten Ausdrücke, die mir dazu einfallen? Im zweiten Schritt frage ich mich, wie sich die einzelnen Ausdrücke anfühlen. Empfinde ich sie als positiv, negativ oder neutral? Und wie sieht dann die Gesamtbilanz aus? Was überwiegt?
Die eigene Einstellung zum Konflikt ist deswegen von zentraler Bedeutung, weil sie die Wahrnehmung, Gefühlslage und das Verhalten beeinflusst (vgl. K. Berkel, Konflikttraining, Sauer-Verlag).
Die Wahrnehmung von Konflikten
Wie steht es um die Konfliktwahrnehmung der Führungskraft? Erkennt sie rechtzeitig, wo sich ein Konflikt abzeichnet, oder unterdrückt, verdrängt oder verleugnet sie die Anzeichen? Was man nicht wahrhaben will, wird man auch nicht wahrnehmen. Wer Konflikte frühzeitig wahrnimmt, ist dagegen klar im Vorteil. Je früher die Führungskraft bei einer Konfliktsituation einsteigt, desto eher ist eine Klärung möglich. Und umgekehrt gilt: Je länger sie zögert und je mehr sich aufstaut, desto schwieriger wird es. Denn die meisten Streitsituationen haben die unangenehme Eigenschaft einer eingebauten Eskalationstendenz. Aus dem Schneeball wird eine Lawine, will sagen, aus dem „Konfliktchen“ wird mit ziemlicher Sicherheit ein ausgewachsener Konflikt. Wo die Fronten allerdings noch nicht ganz verhärtet sind, da bestehen gute Chancen für eine konstruktive Lösung. Konfliktkompetenz besteht folglich zunächst darin, die eigene Wahrnehmung für Warnsignale zu schulen. Es gilt, die eigene Sensibilität für Frühwarnzeichen zu erhöhen und bereits im Vorfeld zu spüren: Hier stimmt etwas nicht, da bahnt sich was an, da schwelt etwas.
Die Gefühlslage bei Konflikten
Wie ist es um die Gefühlswelt der Führungskraft bestellt? Reagiert sie auf Konflikte ängstlich, hilflos und resignativ oder stellt sie sich ihnen mutig, unerschrocken und entschlossen? Häufig kommt einem dabei der eigene Umgang mit Aggression in die Quere. Ohne Zugang zu ihrer eigenen Aggression wird die Führungskraft anderen keine klare Grenze setzen können. Selbstverständlich ist damit keine Ausdrucksweise von Gefühlen gemeint, die den eigenen Emotionen blind folgt und ihnen freien Lauf lässt. Vielmehr geht es um die Fähigkeit, seine eigenen Emotionen situationsangemessen zu kontrollieren und zu regulieren, also beispielsweise den eigenen Ärger zu zeigen, ohne sich davon bestimmen zu lassen. Die entscheidende Frage im Umgang mit Emotionen ist: Habe ich die Emotionen oder haben die Emotionen mich?
Was allerdings den beruflichen Umgang mit Emotionen erschwert, ist die betonte Sachorientierung im Geschäftsleben. Wer mit diesen Erwartungen konform geht, erschwert sich sowohl den Zugang zu seiner eigenen Gefühlswelt als auch zu der seiner Mitarbeiter. Die Maßstäbe sind allerdings seit längerem im Wandel begriffen. Zunehmend setzt sich ein Bewusstsein durch, dass Führungskräfte neben ihrer Fachkompetenz auch über „emotionale Intelligenz“ verfügen müssen. Der professionelle Umgang mit den eigenen Emotionen ist ein entscheidender Erfolgsfaktor im Konfliktgeschehen. Nur wem es gelingt, auf der einen Seite ständige Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung zu vermeiden und auf der anderen Seite den eigenen Unmut wahrzunehmen und angemessen zu zeigen statt ihn unbeherrscht herauszulassen, wird im Konfliktfall erfolgreich sein.
Das Verhalten bei Konflikten
Wie wirken sich Wahrnehmung und Gefühle auf das Verhalten aus? Gehe ich einen Konflikt aktiv und offensiv an oder weiche ich ihm aus und wehre ihn ab? Letztere Reaktion ergibt sich, wenn Konfliktsituationen primär als Angst auslösend erlebt werden und sich weitere unangenehme Gefühle wie Hemmung, Verunsicherung und Hilflosigkeit einstellen. Auf der Verhaltensebene erzeugt diese Gefühlslage die Tendenz, der angstauslösenden Situation aus dem Weg zu gehen. Solange jemand aber einer Situation aus dem Weg geht, besteht keine Chance, die Erfahrung der Angst zu korrigieren. Der Betreffende programmiert sich damit auf die Verhaltensweise der Vermeidung.
Führungskräfte, die in Konfliktsituationen zu Vermeidungsverhalten neigen, entlasten sich so allenfalls kurzfristig, aber längerfristig geht ihre Strategie nicht auf. Konflikte, die nicht gelöst und stattdessen unter den Teppich gekehrt werden, kommen oft in verschärfter Form durch die Hintertür wieder herein. Auch können bei diesem Verhaltensmuster Konflikte als Auslöser für positive Bewegung, Veränderung und Entwicklung nicht genutzt werden.
Ein guter Zugang zu und konstruktiver Umgang mit Ärger und Aggressionen verhilft der Führungskraft zu wirksamer Verhaltenssicherheit in Konfliktsituationen. Sie ist in der Lage, sich ihre Gefühle bewusst zu machen und sie in angemessener Form zu äußern. Die Wahrnehmung der eigenen Gefühlswelt wird zur wichtigen Kraftquelle für ein offensives Angehen von und sicheres Auftreten in Auseinandersetzungen. Ein Ärgerimpuls wie „jetzt reicht’s“ liefert die Energie für die Grenzansage gegenüber dem Mitarbeiter. Und wenn die Führungskraft bemerkt, dass zwei ihrer Mitarbeiter einen Konflikt miteinander haben, wird sie die Kontrahenten bei nächster Gelegenheit bei Seite nehmen. Sie wird den beiden deutlich signalisieren, dass sie die Spannungen geklärt wissen möchte und dass sie sich einen solchen Konflikt in ihrem Bereich nicht leisten kann und will.
Die persönliche Lebens- und Lerngeschichte im Umgang mit Konflikten
Wie letztendlich die Konfliktbewältigung gelingt, beeinflusst im Sinne eines sich selbst verstärkenden Kreislaufs wiederum die Einstellung. Letzten Endes sind es die im Laufe unserer Biographie gemachten Lernerfahrungen, die sich zu einer bestimmten Einstellung zu Konflikten formieren. Sie prägen unseren persönlichen Konfliktstil. Wer somit den biographisch verankerten Ursachen seiner Konfliktstrategien auf die Spur kommen möchte, könnte einmal in Ruhe über die Frage nachdenken: Welche Personen und Konflikterfahrungen haben mein Konfliktverhalten geprägt? Die Verführung ist groß, das eigene Verhalten immer wieder nach alten Fremdsteuerungen auszurichten. Die persönliche Reflexion über den Verlauf der eigenen Konfliktgeschichte kann uns Hinweise liefern, inwieweit Veränderungsbedarf besteht. Was wäre im Hinblick auf einen konstruktiven Umgang mit Konflikten neu zu lernen und selbst gewollt zu entwickeln?
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(Bilder © shutterstock)
Das ist mal ein guter Beitrag, der andere Aspekte des Konfliktmanagements beleuchtet.
Meine Erfahrung bei der „Konfliktregelung“ mit und unter den Mitarbeitern ist, dass vor Beginn der Diskussion, die Regeln und Ziele der „Diskussion / Auseinandersetzung“ von der Führungskraft klar beschrieben werden sollten. Ziel dieses Gespräches ist eine Klärung / Verbesserung der Situation / der Beziehung und Ziel ist es nicht die darin involvierten Parteien zu beleidigen oder zu diskreditieren – auch wenn Aspekte davon so aufgenommen werden könnten.
Wenn alle Parteien diese Ziele vorab und ausdrücklich bestätigen ist m.E. eine „gelenkte“ Eskalation und anschließende Deeskalation der Gespräche, hin zu einem Konsens eher wahrscheinlich. Das hat öfter funktioniert als nicht.
Besten Gruß
Adam Stankiewicz